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HAUS DES LERNENS LIRE KUNUME: Ein Werkzeug um unsere Papuanische Identität zurückzugewinnen


Von Rio Kogoya


Rio Koyoga ist ein indigener Jugendlicher aus West Papua. Er stammt aus dem Hochland und gehört dem Stamm der Lani an. Er ist auch Mitglied der Progressiven Papua-Jugend (KMP2), einem Kollektiv von Papua-Jugendlichen, das 2023 in Jakarta gegründet wurde. Ihr Ziel war es, zu diskutieren und sich zu progressiven Individuen zu entwickeln, um die Mainstream-Lösungen für den West-Papua-Konflikt zu bekämpfen. Dazu kam das Ziel, die Klientelpolitik in der Demokratiebewegung zu beseitigen. Das Kollektiv organisiert sich und andere Menschen nach den von Abdullah Öcalan entwickelten Prinzipien des Demokratischen Konföderalismus. Des weiteren übernahmen sie von der zapatistischen Bewegung aus Mexiko das Prinzip „Verstehen nicht Befehlen“.

 

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Seitdem die Indonesische Regierung, welche von westlichen Imperialisten unterstützt wird, die Kontrolle über West Papua nahm, haben die indigenen Papua alles verloren. Unser Wald, Wasser, Land und Kultur werden durch die Ausbeutung unserer Heimat zerstört. Viele Papua sehen die Existenz der indonesischen Regierung als Kolonialstaat. Seit 1961 besetzt sie unser angestammtes Land und bombardiert sie unsere Dörfer. Als Teil der Besatzung probiert die indonesische Regierung durch das sog. Transmigrationsprogramm die umfangreiche Demographie der Bevölkerung zu verändern. Dieses wurde von 1964 bis 1999 durch das Regime des Präsidenten Soeharto umgesetzt. Obwohl es das Programm seit dem Beginn der westlichen Kolonialisierung gibt, werde ich mich hier nur auf das indonesische Kolonialregime konzentrieren. Das Programm wurde 1999 beendet, jedoch war der neu gewählte Präsident Prabowo Subianto bereits 2023 scharf darauf, es zu reaktivieren. Das Transmigrationsprogramm zielt darauf ab, Menschen hauptsächlich aus Java nach West Papua umzusiedeln. Die politische Rechtfertigung hierfür ist, dass dies die Entwicklung West Papuas fördern würde. Die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung war außerordentlich. Unsere Lebensweise, Traditionen und Bevölkerungen werden bis heute durch Außenseiter dominiert. Die Regierung beschlagnahmt in riesigen Mengen das Land der Indigenen, damit dieses von Transmigranten genutzt werden kann. Dieser Bevölkerungswechsel führte zu Spannungen zwischen Ureinwohnern und Außenseitern (pendatang). Für Viele ist das Programm ein Teil von Siedlerkolonialismus. Neben dem Transmigrationsprogramm findet auch eine massive Ausbeutung statt, welche indigene Papua von ihrem Land und ihrer Kultur fern hält. Ein Beispiel hierfür ist das Lebensmittelprogramm National Strategic Project (PSN), infolgedessen Millionen Hektar gewohnheitsrechtliches Land beschlagnahmt wurden, um Zuckerrohr anzubauen. Beide Programme werden vom Militär geleitet, welches nach West Papua kam um die Transmigranten und PSN zu beschützen.

 

Die Jugend von West papua

 

Der Kolonialismus in West Papua hat die Jugend getroffen. Die Geschichte zeigt uns, dass der Kolonialstaat immer und überall probiert, die Kultur und Tradition der Kolonisierten verschwinden zu lassen, probiert, die junge Generation von ihren Wurzeln zu trennen und dazu zu bringen, sich selbst als minderwertig zu betrachten. Der Kolonialstaat greift in ihre Bildung und Lebenswerte ein, mit dem Ziel, all das, was den Kolonialisierten gehört, als schlecht, abergläubisch und mit schwarzer Magie behaftet darzustellen.

 

In West Papua sprechen die meisten Jugendlichen unsere Muttersprache nicht mehr, üben unsere Traditionen nicht mehr aus und tragen auch keine traditionelle Kleidung mehr. Manchmal fühlen wir uns schüchtern, veraltet und ängstlich. 1970 fand die Militäroperation Koteka statt, während welcher die Armee der indigenen Bevölkerung in den Bergen (Wamena, Enarotali und Wagate) verbot, die traditionelle Koteka zu tragen. Stattdessen wurden sie gezwungen, als Symbol der Zivilisation moderne Kleidung zu tragen, wie z.B. Hosen und T-Shirts. In der Schule lernen wir nur über Java und andere westindonesische Kultur und Geschichte, während wir nur begrenzt Wissen über unsere Eigene erhalten. Obwohl es in West Papua 250 Stämme gibt, welche alle verschiedenes örtliches Wissen haben, haben wir Honai als unser Brauchshaus (1.) homogenisiert. Währenddessen gibt es Befak vom Stamm der Malind, Kunume der Dani, Kamasan der Biak und viele mehr.

 

Für mich ist persönlich ist die tödlichste Auswirkung des Kolonialismus auf West Papua die Unterdrückung der Frauen, welche durch die Erweiterung von Kapital in Bergbau- und Megaprojekten wie PT Freeport, PSN, BP Petroleum unterstützt wird. In der Vergangenheit schätzten unsere Vorfahren die Frauen als Quelle des Lebens. Sie sind diejenigen, welche sich um das Land kümmern und die Wälder beschützen. Die Arbeitsteilung war klar, z.B. waren die Männer für die Reinigung des Gartens zuständig, während Frauen das Gemüse anpflanzten. Die Ernte wurde dann zusammen bewältigt. Die erste Ernte wird an die gesamte Gemeinschaft vertielt, während wir die zweite dann für unseren Haushalt nutzen können. Wir lebten Seite an Seite und bewältigten alles zusammen. Doch als der Kolonialstaat anfing, im Westen ein vom Imperialismus unterstütztes Indonesien zu schaffen, verschwamm alles und wurde letztendlich zerstört.

 

Neben den multinationalen Unternehmen, die von der indonesischen Regierung unterstützt werden, haben Frauen sehr zu leiden. In unserer Tradition besitzen zwar Männer das Land und das Entscheidungsrecht darüber, wie es genutzt wird. Allerdings müssen diese Entscheidungen zum Vorteil der gesamten Gemeinschaft sein. Dies änderte sich, nachdem multinationale Firmen und ausbeuterische Regierungsprojekte kamen. Die Unternehmen nutzen Bestechung als Teil ihrer Strategie. Sie gingen auf einige indigenen Anführer und Politiker zu, und gaben ihnen Geld, Alkohol und weibliche Sexarbeiterinnen im Gegenzug für Landbesitzrechte (2). Obwohl sie diejenigen sind, welche sich um das Land kümmern, waren indigene Frauen nie ein Teil dieses Prozesses. Dies führt zu Gewalt im häuslichen Bereich.


Liru Kumune und die Wiedergewinnung

 

Solange wir, die junge Generation, uns organisieren und zurückkämpfen, können wir in mitten von Unsicherheit und Unterdrückung immer weiter an die Hoffnung glauben. In West Papua haben wir einen Raum ins Leben gerufen, an dem wir gemeinsam über unsere Identität lernen. Am 1. Dezember 2023 schufen wir Liru Kunume, um mit dem Gefühl der Minderwertigkeit, welches unser Selbstvertrauen getötet hat. Liru bedeutet Lernen und Kunume Haus, also ein Haus des Lernens. Die Sprache gehört zum Stamm der Lani, die im Hochland von West-Papua leben. Wir sind motiviert durch Abudllah Öcalans Perspektive des demokratischen Konföderalismus, der die Unterschiede innerhalb der Gemeinschaften über Nationalismus stellt. Wir glauben, dass wir durch die Schaffung eines Raums für den Dialog zwischen den Stämmen in West-Papua in der Lage sind, Strategien zu entdecken, um unsere Identität zurückzugewinnen und die unterdrückenden Systeme zu bekämpfen. Die Beziehungen zwischen Frauen und Männern, die durch das kapitalistische System in West-Papua zerbrochen wurden, können wiederhergestellt werden, indem wir die Erfahrungen in Rojava nutzen, wo die Jinealojî-Akademie erfolgreich gegründet wurde, welche wir als Leitfaden verwenden können, um das Wissen der Frauen hier in West Papua zu verstehen.

 

Wir glauben, dass wir durch die Schaffung eines sicheren Raums, in dem wir über unsere Geschichte, Traditionen, Gewohnheiten und anderes lokales Wissen sprechen können, eine Einheit zwischen den Völkern schaffen können. Und der wichtigste Teil ist die Rückgewinnung unserer zerstörten Identität als Papuas. Liru Kunume soll ein kollektives Haus sein, in dem alle Stämme ihr Wissen und ihre Gewalterfahrungen teilen können. Und Ideen entwickeln, um das, was uns gehört, zurückzufordern.

 
 
 

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