DAS GEMEINSAME ERSCHAFFEN: Eine Reise zur Gemeinschaft der Zapatista
- Lêgerîn 2

- vor 2 Tagen
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Teil 1 einer Reportage die im Dezember 2024 und Januar 2025 durch das Kollektiv "caracteresnoexistentes" für das Lêgerîn Magazin produziert wurde.

Der Kapitalismus glaubt nicht, dass er verschwinden wird
In einer Schule am Rande der Stadt, inmitten eines Pinienwaldes, werden in großen Holzräumen indigene Schüler in Arbeitstechniken unterrichtet. Die Wände sind mit farbenfrohen Wandgemälden geschmückt, die Themen wie Autonomie, Natur, Schnecken und andere zapatistische Kunst widerspiegeln. In verschiedenen Bereichen werden verschiedene Artikel zum Verkauf angeboten, darunter T-Shirts, Aufkleber, Bücher, Kalender, Popcorn, Schinken- und Hähnchensandwiches, Maiskolben und Mangos mit Chili. Dies ist die einladende Atmosphäre von CIDECI Uni-Tierra, dem Ort der Begegnungen des Widerstands und der Rebellion. Hier versammelten sich rund 900 zapatistische Compas aus der ganzen Welt. Geschätzte 1.079 Teilnehmer aus 46 Ländern und aus ganz Mexiko unterzeichneten die Erklärung für das Leben.
In zwei langen Räumen wurden verschiedene Runde Tische abgehalten, an denen Verteidiger des Lebens die Konsequenzen des La Tormenta (des Sturms) erklärten - das Verbrechen, die Täter und die Opfer des Kapitalismus, jeder von ihnen sprach von der lokalen sowie globalen Situation. Es wurden Themen diskutiert, die von dem Kontext in Palästina, rückblickend auf die „Tour für das Leben“ durch Europa, nach Chiapas, wo ein Krieg niedriger Intensität geführt wird, der durch den Konflikt zwischen paramilitärischen Gruppen, Drogenkartellen, der Nationalgarde und dem Versagen des mexikanischen Staates, die dort lebenden Menschen zu schützen, verursacht wird.
Bei all dem hatten wir Zeit, einen Blick auf den großen Sturm zu werfen, der über uns hereinbricht. Themen wie die Zerstörung der Erde, vermisste Menschen, suchende Mütter, Kriege, Tod, Gier und die Gefräßigkeit des Kapitalismus wurden angesprochen. Ein zentraler Teil der Begegnung bestand darin, ein Verständnis für den Umstrukturierungsprozess zu entwickeln, den ihre Organisation durchläuft.
Sie gingen auf die Veränderungen ein, die sie in ihrer Autonomie durchlaufen haben, und beleuchteten die Rolle der Frauen im Kampf seit der Schaffung des Revolutionären Gesetzes der Frauen im Jahr 1993 und ihren Autonomieprozess innerhalb der Bewegung. Subcomandante Moisés erläuterte die neue Regierungsform, die seit dem letzten Jahr, dem 30. Jubiläum, in Kraft ist. Sie wollen die Pyramide auf den Kopf stellen, indem sie die Organisationsformen ändern, die Beteiligung aller Menschen erleichtern und mehr Menschen in die Verantwortung nehmen.
Eine der größten und wichtigsten Änderungen ist die des „Kein Besitz“, was bedeutet, dass die zapatistischen Ländereien und die autonomen Dienstleistungen, die sie bereitstellen (Schule, Gesundheit, Veterinärdienste und mehr), allen Menschen gehören, die in diesen Gebieten leben. Das Land wird allen und niemandem gehören, den Zapatistas, den Anhängern der verschiedenen Regierungsparteien und der Gemeinschaft. „Das Gemeinsame“ ist das neue Paradigma, zwei Worte, die auf diesem Treffen und seit letztem Jahr, so oft wiederholt wurden.
Zwischen cumbias und Hoffnung
Nach drei Tagen voller Treffen im CIDECI luden uns die Zapatistas ein, den 31. Jahrestag des bewaffneten Aufstandes zu feiern. Es war schwierig, eine Transportmöglichkeit zu finden, und weil es so wenig davon gibt, vor allem nicht direkt nach Caracoles und die Straße voller Gefahren ist, die die Zapatistas ständig anprangern. Alle Teilnehmenden des Treffens organisierten sich, um gemeinsam zu reisen. Wir nahmen einen Kleinbus mit mehreren Internationalisten und machten uns auf den Weg durch die Berge des Südostens von Mexiko. Grün, belaubt und mit dem allgegenwärtigen Nebel kamen wir am Caracol Oventic an, wo das zapatistische Kulturfestival und der Jahrestag des Treffens stattfinden sollten.
Der Eingang war ein langer Abstieg, umgeben von farbenfrohen Strukturen mit unterschiedlichen Funktionen - ein kleiner Laden mit von der Gemeinschaft hergestellten Artikeln, die Kantine Lo Común, der Raum Tercios Compas (freie und autonome Medien), die Klinik der Gesundheitsförderer, Schlafräume, die zapatistische Schule und mehr. Der Weg führte zu einer großen Esplanade in der Mitte von Allem. Während dieser Tage wurden Lieder von Künstlern vorgetragen, die sich berufen fühlten, Worte des Kampfes, Raps, Poesie, Tänze, Rituale und Essen mitzuteilen, während die Nächte für die Teilnahme am Tanz der Gesellschaft reserviert waren. Das erste Theaterstück, das die jungen Zapatistas für uns aufführten, drehte sich um „den Sturm“, in dem sie beschrieben, wie gewalttätig, grausam, unmenschlich und kriminell der Kapitalismus ist; der unvermeidliche Zusammenbruch der Welt angesichts dieses gefräßigen Systems. Den Abschluss bildete das Stück „Der Tag danach“, in dem sie sich eine Welt ohne Kapitalismus vorstellen - die Menschen, die überleben können, organisieren sich für „Das Gemeinsame“. Sie beschrieben eine Welt ohne große Konzerne, Pharmaunternehmen oder Agrochemikalien. Es gäbe kein Eigentum, niemand könnte Wissen vorenthalten und daraus Profit schlagen, die Verwendung von Heilpflanzen, das Feuermachen, das Herstellen von Kleidung, die Landarbeit, das Töpfern, die Politik, usw. alles müsste gemeinschaftlich sein, und Geld würde es nicht mehr geben. Zu diesem Zweck werden Vertreter ernannt, die bei der Organisation des Prozesses behilflich sind, denn es sind die Menschen, die für die Entscheidungen in jedem Raum verantwortlich sind.
Am 1. Januar wurden der 31 Jahre seit Beginn des Krieges gegen das Vergessen gedacht. Zwei Stunden vor Mitternacht, inmitten der Stille und des Nebels, ertönte das Grollen von Schritten, die Erde bebte. Hunderte von uniformierten zapatistischen Milizionären marschierten vom Gipfel des Caracol den Berg hinunter, um diesen Moment mit uns zu feiern. Sie reihten sich geordnet vor dem Subcomandante Moisés auf, der von den Jahren des Widerstands und der Rebellion sprach und von den Märtyrern, die nicht aufgaben, sich nicht verkauften und nicht nachgaben. Die Rede wurde in Tzotzil und Tzeltal, die am weitesten verbreiteten Sprachen in der Region, übersetzt.
Was diese Begegnung und andere Erfahrungen mit den Zapatistas bei uns hinterlassen, ist einerseits die Notwendigkeit, die Hoffnungen der anderen Welten, die bereits existieren, zu teilen und zu erkennen, wie viel wir bereits gemeinsam haben. Andererseits gibt sie uns die Gelegenheit, uns nicht nur zu fragen, ob wir für den Sturm bereit sind - der mit Sicherheit kommen und die Welt, wie wir sie kennen, verändern wird -, sondern auch, wie der Sturm an dem Ort aussieht, an dem wir leben. Wie stellen wir uns dem Sturm, und wer sind unsere Wegbegleiter? Sie laden uns dazu ein, uns den Tag danach vorzustellen. Wie sieht eine Welt ohne Kapitalismus aus? Wie können wir uns organisieren?
Wie organisieren wir uns?
Wie können wir das Gemeinsame erschaffen?
Und wer ist gewillt, Teil dieser Anstrengung zu werden?






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