DIE KÄMPFENDE JUGEND UNSERER ZEIT: Ein Blick aus der Territorialversammlung von Juan Antonio Ríos, Independencia, Santiago de Chile.
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In der Siedlung Juan Antonio Ríos bildete sich im Zuge des Volksaufstands vom Oktober 2019 eine selbstorganisierte Territorialversammlung der Bewohner:innen. Zunächst ohne konkretes Ziel, entsprang sie der Notwendigkeit, das Leben angesichts der neuen Realität, die der Aufstand geschaffen hatte, neu zu organisieren. Seitdem hat unsere Nachbarschaft basisdemokratische Arbeit geleistet, die sich auf andere Bereiche ausgeweitet hat – über die Versammlung hinaus – und Lösungen für Probleme wie Versorgung, Jugend, Arbeit, Bildung, Sport und politische Analyse hervorgebracht, um unseren Weg zu gestalten.
Seither veranstalten wir jedes Jahr und zu jedem wichtigen Datum für unser Volk politische und kulturelle Aktivitäten, um die Erinnerung wachzuhalten und über aktuelle Themen zu reflektieren. Am 29. März gedachten wir dem Tag der kämpfenden Jugend in Erinnerung an Rafael, Eduardo Vergara und Paulina Aguirre, junge Menschen, die 1985 während des Militärregimes ermordet wurden.
Zu diesem Anlass führten wir eine Diskussion mit Organisationen des Viertels und hörten den Familien und Freund:innen der vier in unserer Nachbarschaft getöteten Jugendlichen zu. Dadurch konnten wir unterschiedliche Jugendgeschichten hören, über die Bedeutung von Jugend für uns nachdenken und diese Reflexionen in diesem Artikel zusammenfassen – als unseren Beitrag.

A m 29. März gedachten wir erneut dem Tag der kämpfenden Jugend in Chile. Dieser Tag ist den Genossen Rafael und Eduardo Vergara Toledo (18 und 20 Jahre) gewidmet, die 1985 in Villa Francia, einem historischen Viertel Santiagos, ermordet wurden, sowie Paulina Aguirre Tobar, einer 20-jährigen Militanten des Movimiento de Izquierda Revolucionaria (MIR), die am selben Tag unter ähnlichen Umständen fiel. Diese drei Morde geschahen während der Pinochet-Diktatur und waren Teil der staatlichen Gewalt jener Zeit, die jeden Widerstand ersticken sollte.
Wir leben nicht mehr unter einer Diktatur, aber wir werden immer noch getötet...
Unser Volk ist gezeichnet von der Gewalt des Staates und seiner verschiedenen Tentakel, und auch unsere Siedlung bleibt davon nicht verschont. Um die Jugend zu verstehen, luden wir Angehörige und Freund:innen von vier ermordeten Nachbarn ein: Carlos Godoy Echegoyen, Maximiliano Rodriguez, Tomás Pérez und Alonso Verdejo.
Die militante Jugend der 80er Jahre reagierte auf einen historischen Prozess in unserem Land, und auch in unserer Siedlung gab es revolutionäre Keime. Ein Beispiel dafür ist das Leben von Carlos Godoy Echegoyen, genannt „Rafael“. Er war Sozialist, wie seine ganze Familie, und übernahm wichtige politische Aufgaben und Mobilisierungen. Dank seiner Organisationsfähigkeit, Effizienz, Disziplin und Hingabe prägte er den Widerstand der jungen Sozialist:innen jener Zeit und leistete so einen bedeutenden Beitrag zum Volkskampf – bis zu seinem Tod.
Wie stellen wir uns den Herausforderungen der heutigen Jugend?
Zunächst möchten wir betonen: Es ist bereits eine Herausforderung, die heutige Jugend überhaupt zu charakterisieren. Soziale Bewegungen in Chile neigen oft dazu, die Jugend durch die Linse des militanten Widerstands gegen die Diktatur zu betrachten. Zwar halten wir die revolutionären Werte jener Zeit – Konsequenz, Disziplin, Mut, die in Leben und Tod durch die jungen Kämpfer:innen ausgedrückt worden sind – nach wie vor für prägend, doch stellt sich die Frage: Sind diese Werte heute noch in unserer Jugend oder in uns selbst lebendig?
Die Antwort lautet: Ja, der Geist der 80er ist in den jüngsten Mobilisierungen spürbar. Beweis dafür ist die Schüler:innen- und Studierendenbewegung, die den Widerstand unseres Volkes fortsetzte – vom Sturz der Diktatur über die „Pinguin-Revolution“ 2006 und die Proteste 2011 bis hin zur U-Bahn-Protestwelle, die den größten Volksaufstand entfachte, den wir je erlebt haben. Die Fähigkeit der Jugend, revolutionäre Prozesse voranzutreiben, wurde in den (heute stark kriminalisierten) Bildungszentren geformt – die Gründe dafür kennen wir.
Doch warum erreicht diese Flamme nicht alle Jugendlichen? In unserem Viertel werden viele, mit denen wir nach den Morden an Maxi und Tomás in Kontakt kamen, aufgrund von Stigmatisierung nicht einmal zum Schulabschluss zugelassen. Das zeigt: Es gibt unterschiedliche Jugendliche, die zwar ähnliche Werte teilen, aber auf verschiedene Weise zum Schweigen gebracht werden. Schüler*innen werden durch repressive Gesetze oder den Abbau öffentlicher Bildung mundtot gemacht; Jugendliche aus Armenvierteln hingegen erleben Marginalisierung – oder werden einfach straflos ermordet.
Gerade deshalb wächst unsere Sorge um die Jugend der Pobladora (Pobladora bezieht sich auf die Bewohnerinnen der Armenviertel, die im Widerstand verwurzelt sind.) – denn hier sehen wir das größte Potenzial unserer Klasse. Wir sind überzeugt: Diese Jugend verdient die Früchte der Organisation. Doch was sind diese Früchte?
Organisation gibt uns die Werkzeuge, um dem mächtigen Feind zu begegnen. Daher müssen wir Analysen austauschen und uns fragen: Was tun wir konkret für diese Jugend? Wie können wir uns stärken und sie systematischer unterstützen?
In unserem Viertel gibt es bereits Projekte von und für die Jugend: Der Comedor Popular Maxi Rodriguez, gegründet von Maxis Mutter und Schwester, verwandelte Schmerz in Kampf und schuf einen sicheren Ort ohne Verurteilung – wo Jugendliche gehört und anerkannt werden. Sportprojekte wie der Basketballworkshop, an dem Alonso Verdejo teilnahm, oder der Carlos Godoy Echegoyen Sports Club fördern Gemeinschaft. Auch das Volksvorstudium Yoshua Osorio hilft Jugendlichen, sich auf die Uni vorzubereiten.
Doch obwohl diese Räume spontan entstanden, zeigt unsere Diskussion: Wir müssen unsere Praxis verbessern. Jugendliche müssen diese Räume selbst gestalten – sie müssen Entscheidungen treffen und Ideen einbringen. Dafür müssen wir ihnen zuhören, ihre Lebensrealitäten verstehen. Oft wird Jugend nur als „Energiequelle“ instrumentalisiert – eine veraltete Logik, die verhindert, dass sie ihren Platz in der Gesellschaft einfordern.
Wir müssen begreifen, wer wir sind – als Arme, als Klasse, als Frauen, als Jugend. Der Neoliberalismus hat unsere Identität als Volk zerstört; wir müssen sie zurückgewinnen. Egal, ob eine Gruppe anarchistisch, kommunistisch oder indigen geprägt ist: Wir brauchen eine gemeinsame Identität des Kampfes – basierend auf Respekt, ohne Zwang, gegen Individualismus und die leeren Identitäten, die uns soziale Medien aufdrängen.
Ein zentrales Ergebnis unserer Diskussion: Unser Handeln muss unseren Worten folgen. Der Kampf findet nicht nur „draußen“, sondern auch in uns selbst statt. Wir sind in diesem System aufgewachsen – seine Laster stecken auch in uns. „95 % des Kampfes gilt dem inneren Feind“, sagte Rêber Apo. Täglich müssen wir liberale und patriarchale Denkmuster überwinden. Der Kapitalismus führt einen psychologischen Krieg gegen uns – wir müssen die Persönlichkeiten bekämpfen, die er in uns geschaffen hat.
Nur wenn wir gleichzeitig den äußeren und inneren Feind bekämpfen, können wir das Leben aufbauen, das wir wirklich wollen – nicht das, was uns das Kapital aufzwingt."Lasst uns heute so leben, wie wir in Zukunft leben wollen." Vorwärts im Kampf, im Widerstand, im Aufbau! Hoch die Kämpfenden und hoch die Jugend der Pobladora!
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