DIE JUGEND UND DIE REVOLUTION IM NEUEN SYRIEN: Interview mit Nadiya Yusif, Sprecherin der Jungen Frauen Bewegung im Büro des Demokratischen Jugendrats Syriens.
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Nadiya Yousif ist Mitglied des Demokratischen Jugendrats Syriens (MCSD - Meclisa Ciwanên Suriya Demokratîk) welcher ein Jugendrat ist, der autonom von Jungen Frauen Syriens organisiert ist. Der Jugendrat organisiert als ein Dachverband alle Demokratischen Räte Syriens innerhalb des syrischen Territoriums. In diesem Rat sind junge Menschen aus verschiedenen Ethnien, Kulturen und Glaubensrichtungen aus ganz Syrien, vor allem aber aus dem Nordosten Syriens, vertreten, welche gemeinsam am Aufbau eines demokratischen und freien Syriens mit Vorreiterinnenschaft der Jugend arbeiten. Der MCSD ist auch Teil der Middle-East Youth Initiative und beteiligt sich als Vertreter der Demokratischen Jugend Syriens an der diplomatischen Arbeit in ganz Syrien und auch außerhalb. Als Lêgerîn Magazin haben wir dieses exklusive Interview mit Nadiya Yusif speziell für die Lêgerîn #17 geführt.

Lêgerîn: Als junge Frau aus Afrîn beteiligst du dich an der politischen Arbeit. Kannst du dich vorstellen und uns sagen, warum du mit dieser Arbeit begonnen hast? An welcher Art von Arbeit bist du jetzt beteiligt?
Mein Name ist Nadiya Yusif, ich arbeite als Sprecherin der Jungen Frauen im Büro der Jungen Frauen im Syrischen Demokratischen Jugendrat. Ich bin eine junge Frau aus Afrîn. Dieser Rat, in dem ich arbeite, ist ein politisches Dach für alle Bewegungen, Organisationen und unabhängigen Personen auf syrischer Ebene. Warum habe ich als junge Frau meinen Platz in dieser besonderen Arbeit eingenommen, das heißt, inwiefern ist sie wichtig? Gerade als junge Frau ist es für mich sehr wichtig, eine Rolle in der Politik zu spielen, denn wir wissen, dass wir als junge Generation als Generation Z, als die letzte Generation, definiert wurden. Die Arbeiten, an denen wir uns beteiligen konnten, waren durch die männlich-staatliche Mentalität, die patriarchalische Mentalität, begrenzt. Jede Frau war politisch und wirtschaftlich ausgeschlossen. Als Antwort auf diese Mentalität, als Antwort auf diese aktuelle Regierung wollte ich mit unserer Identität und unserem Willen einen besonderen Platz in dieser Arbeit einnehmen. Auf dieser Grundlage habe ich mich an dieser Arbeit beteiligt, und wir führen unsere Organisationen auch auf der Ebene von ganz Syrien.
Lêgerîn: Als junger Mensch aus dem Mittleren Osten, mit deiner vielseitigen Identität und auch als junge Kurdin, was sind die Belastungen für junge Menschen und die Probleme, mit denen du konfrontiert bist? Welchen Angriffen sind junge Frauen im Besonderen ausgesetzt, vom sozialen Druck und der Ehe, der Familie bis hin zum männerdominierten System, welche Schwierigkeiten sehen Sie?
Wenn wir nun über die Staatsmann-Mentalität sprechen wollen, die vor allem im Mittleren Osten kultiviert und eingeflößt wurde, können wir sagen, dass wir diese Mentalität nicht nur in den Staaten oder in den Festungen sehen, sondern auch in der Persönlichkeit eines jeden Menschen, der heute im Mittleren Osten lebt. Das heißt, in den Familien, in denen wir leben, in der Gesellschaft, in der wir leben, ist diese Mentalität im Gehirn, in der Persönlichkeit eines jeden Menschen im Nahen Osten kultiviert worden. Wir können über die Mentalität des Baath-Regimes sprechen. Aber in Bezug auf diese Mentalität können wir eigentlich alle Länder des Mittleren Ostens einordnen, denn alle Staaten, die wir heute sehen, haben einseitig „eine Flagge, eine Sprache, eine Kultur, einen Glauben, eine Identität“ gefordert. Heute stützen sich alle Staaten des Mittleren Ostens auf diese Forderung und üben ihre Autorität aus.
Als junge Frau, die in Syrien lebte, wurde meine kurdische Identität für mich nicht als legitim angesehen. Meine eigene Sprache in meiner Familie, in meiner Gemeinschaft zu sprechen, wurde ebenfalls nicht als legitim angesehen, es war mir verboten. Aus diesem Grund müssen wir, um die aktuellen Krisen, die wir heute im Mittleren Osten erleben, wirklich zu verstehen, begreifen, dass der Mittlere Osten eine Region ist, in der sich die Menschheit, die Identität und die Zivilisation entwickelt haben, und der Mittlere Osten ist heute für seinen Reichtum, seine Religionen und seine Komponenten bekannt. Mit anderen Worten: Hier leben nicht nur Kurd:innen und Araber:innen, es gibt viele Nationen, Komponenten, die ihren Platz in dieser Region einnehmen. Wenn sich heute eine Mentalität durchsetzt, bei der allen anderen Komponenten keine legitimen Rechte zugestanden werden und nur eine Komponente an der Macht bleibt, bei der alle anderen Völker als nicht existent betrachtet werden, wird dies nur dazu führen, dass die Krisen, die wir heute im Mittleren Osten erleben, nicht enden.
In diesem Zusammenhang möchte ich, insbesondere als junge Frau, darauf hinweisen, dass die jungen Frauen heute im Mittleren Osten die größten Opfer der vom Staat getroffenen Vereinbarungen sind, der Vereinbarungen, die auf der Ebene der Familie und der Stämme getroffen werden. Und warum? Sie zielen mit ihrer Mentalität vor allem auf die junge Generation ab, weil sie wissen, dass die Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind, diejenige ist, die Veränderungen und Umwälzungen in der Gesellschaft herbeiführen wird, und dass wir im Namen der Tradition, mit der unsere Großeltern aufgewachsen sind, „die Grenze nicht überschreiten sollen“, und jede Identität und jeder Wille der Jugend unterdrückt wird.
Das können wir am Baath-Regime sehen. Nachdem es so viel Macht über die syrische Regierung ausgeübt hatte, wurde es nach, wie wir sagen können, 50 Jahren Herrschaft zerstört. Und warum? Weil wir wissen, dass, wenn sich der Staat, die Gesellschaft und die Familie nicht verändern und umgestalten, mit der Zeit jede Mentalität und jeder Staat zugrunde gehen wird. Denn die heutige Zeit befindet sich inmitten von Veränderungen und Umwälzungen. Wenn die Menschen ihre Gesellschaft nicht entsprechend organisieren, wird jede Gesellschaft auf der untersten Stufe bleiben. Der Hauptgrund dafür, dass die Staaten des Mittleren Ostens heute Krisen und Kriege durchmachen, ist die Mentalität des Mann-Staats, die Mentalität des Nationalstaates.
Lêgerîn: In Syrien, insbesondere im Nordosten Syriens, sind 13 Jahre seit Beginn der Revolution vergangen. Was hat sich verändert und wie sehen Sie den Kampf, der vor allem für die Freiheit der Frauen geführt wurde? Wie sehen Sie die Errungenschaften der Frauenrevolution für die Zukunft von jungen Frauen wie Ihnen?
Wenn Syrien heute regieren will, muss es eine wahre Ideologie, eine wahre Idee haben, eine demokratische Idee, die alle Nationen, alle Gemeinschaften, alle Religionen, die heute in Syrien leben, einschließt.
Aus diesem Grund haben wir als junge Menschen im neuen Syrien nach dem Sturz des Baath-Regimes die Hoffnung, dass wir wirklich in einem neuen, demokratischen und vielfältigen Syrien leben können. Aber das hat sich nicht erfüllt, weil ein Regime, das wir als noch gefährlicher bezeichnen können, dem syrischen Volk und insbesondere der syrischen Jugend seine Herrschaft aufzwingt.
Auf dieser Grundlage sagen wir, dass Nord- und Ostsyrien die Rettung Syriens ist. Heute sehen uns die Jugendlichen, die innerhalb Syriens leben, als Rettung an, wegen des Systems, das hier aufgebaut wurde, insbesondere wegen der Institutionen für junge Frauen und Jugendliche, die hier entstanden sind. Kein Staat hat den Wunsch, junge Menschen und junge Frauen zu stärken.
Die Revolution des 19. Juli, die Revolution im Nordosten Syriens, wenn wir dises Revolution zur Revolution aller syrischen Völker und der syrischen Jugend machen können, dann werden wir sagen können, dass wir uns wirklich auf ein demokratisches Syrien zubewegen. Wir bewegen uns auf ein multiethnisches Syrien zu, und dieses System umfasst alle heute in Syrien lebenden Völker. Denn wir sehen, dass in Nord- und Ostsyrien nicht nur Kurd:innen und Araber:innen leben. Ich wiederhole, es leben hier Armenier:innen, Syrer:innen, Araber:innen, Kurd:innen, Turkmen:innen, Tscherkess:innen und viele andere Gruppen. Sie alle stehen unter dem Dach der Selbstverwaltung, haben ihre eigenen Institutionen gegründet und sprechen in den Schulen ihre eigene Sprache. Diese Gruppen leben in einer Gesellschaft, die auf ihrer eigenen Kultur und Sprache basiert. Im Gegensatz dazu werden wir als junge Menschen und junge Frauen die Verfassung, die von der neuen syrischen Regierung erlassen wurde, niemals als Repräsentation für uns sehen.
Denn wenn wir heute das Alter berücksichtigen, haben wir bei den Aktivitäten, die seit der Gründung des neuen Staates stattgefunden haben, keine jungen Menschen gesehen. Wo ist der Wille der Jugend? Wo ist der Wille der jungen Frauen? Als Jugendrat des demokratischen Syriens stehen wir 24 Stunden am Tag in Kontakt mit der Jugend. Wir führen unsere Arbeit innerhalb Syriens 24 Stunden am Tag aus. Wir sind in der ganzen Region unterwegs. Und wir sehen deutlich, dass heute alle syrischen Jugendlichen, alle jungen syrischen Frauen nach uns rufen. Während der Zeit des Baath-Regimes hat vielleicht etwas Angst geherrscht, wir hatten Angst, aber jetzt sagen die jungen Syrer:innen das ganz klar. Sie sagen, dass das heutige Nordostsyrien eine Antwort auf die derzeitige Mentalität, eine Antwort auf die derzeitige Regierung sein kann. Es kann tatsächlich ein Syrien auf seine eigene Weise aufbauen.
Wenn wir auf dieser Grundlage eine Identität und einen Willen für junge Frauen aufbauen wollen, müssen wir uns zuerst an die jungen Frauen wenden, die in Nordostsyrien leben. Denn die Wahrheit ist, dass die Errungenschaften dieser Revolution von jungen Frauen angeführt wurden. Zu Beginn der Revolution lag die größte Führung in militärischer, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht auf den Schultern der Jungen Frauen. Heute können junge Frauen auf alle Angriffe auf diese Region reagieren. Im Kampf gegen eine extremistische islamistische Armee wie ISIS standen junge Frauen an vorderster Front.
In Nordostsyrien spielen junge Frauen heute die größte Rolle in der Politik. In wirtschaftlicher Hinsicht ist es das Gleiche. Die Wirtschaft in dieser Region wird von jungen Menschen und jungen Frauen organisiert und geführt. Auf dieser Grundlage sehen junge Menschen von außerhalb, dass so viel Wille in die Hände von jungen Menschen gelegt wurde. Dass junge Menschen wirklich Gemeinschaften leiten können. Deshalb können wir sagen, dass die jungen Frauen von heute mit dem Projekt der Demokratischen Nation, dem Projekt, das im Nordosten Syriens und in seinen Gemeinden umgesetzt wurde, wirklich die Antwort auf diese aktuelle Mentalität sind.
Lêgerîn: Was sind deiner Meinung nach die Lösungen für die Probleme, mit denen junge Menschen im Mittleren Osten konfrontiert sind? Wenn du eine Botschaft für junge Menschen auf der ganzen Welt hättest, was würdest du ihnen sagen?
IWenn wir einen Aufruf an die jungen Männer und Frauen, die heute in Syrien leben, hätten, dann wäre es folgender: Wir sollten niemals, in keiner Weise, Angst vor einem bestehenden System, einem bestehenden Staat, einem Staat, der mit einer dominanten männlichen Mentalität aufgebaut wurde, haben.
Das Ende dieser Mentalität konnten wir am Beispiel des Baath-Systems sehen, das heute, nach 50 Jahren der Machtausübung in Syrien, alle Formen der Macht in der gesamten Gesellschaft ausübte und dessen Ende sein Zusammenbruch war. Für einen Staat, der auf dieser Machtbasis aufgebaut ist, wird das Ende immer der Zusammenbruch sein. Unser Aufruf an die jungen Frauen, die in Syrien leben, lautet daher, dass sie sich dieser bestehenden Mentalität nicht bis zum Ende beugen werden, und wir werden sie mit unseren Herzen und unseren Ideen unterstützen. Wir werden alle jungen Männer und Frauen, die an die Demokratie glauben, die an Gleichheit und Freiheit glauben, bis zum Ende unterstützen.
Wir sagen, dass wir niemals ein anderes Syrien akzeptieren werden als ein demokratisches, dezentrales und vielfältiges Syrien, und dass wir an die Energie der jungen Menschen und die Ideologie der freien Jugend glauben. Wir sagen, dass es auf dieser Grundlage an der Zeit ist, sich dem extremistischen Islam zu widersetzen, der gekommen ist und uns seine Herrschaft aufzwingt. Dieser Islam, den der Staat zu seiner eigenen Religion gemacht hat, will heute die Identität der Frauen, die Farben der Frauen in jeder Hinsicht verletzen. Dem werden wir niemals nachgeben, und wir werden ihn nicht akzeptieren.
Heute haben wir 13 Jahre lang eine Revolution erlebt. Auch wenn wir unsere Organisation und unsere Ideen noch nicht allen jungen Frauen in Syrien vorstellen konnten, so ist unser System doch auf höchster Ebene anerkannt worden. Dieses System hat sich inzwischen in der ganzen Welt herumgesprochen und ist zu einer Bedrohung für alle Staaten geworden, die heute den Norden und Osten Syriens angreifen. Sowohl der türkische Staat als auch andere Staaten hören nicht auf, Nordostsyrien anzugreifen. Daran kann man auch erkennen, dass das System, das hier aufgebaut wurde, nicht mit der Mentalität des Staates übereinstimmt. Irgendwann wird dieses System, das hier aufgebaut wurde, die Rettung der Gesellschaften sein. Irgendwann wird man verstehen, dass, wenn ein System nicht mit dem Staat übereinstimmt, dieses System mit den Gesellschaften, die in dieser Region leben, übereinstimmt. Auf dieser Grundlage wird unser Aufruf immer lauten, dass alle Frauen, die im Nordosten Syriens leben, alle Frauen in Syrien, die wir unsere Schwestern nennen, unterstützen werden. Wir werden sie bis zum Ende unterstützen, damit wir gemeinsam ein demokratisches, dezentrales Syrien aufbauen können, das uns alle umfasst, und damit wir uns vor der Staatsmentalität retten können.
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